Schiedsrichter = Rechtsvertreter oder Opfer. Oder doch nur ein Mensch???

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Wir befinden uns mitten im Finale zwischen Dortmund und Bayern. Es ist, wie immer, ein hartumkämpftes Spiel, mit viel Körpereinsatz. Sowohl Regelgerecht als auch Regelwidrig. Der Schiedsrichter hat immens viel zu tun. Er läuft permanent von einer Spielhälfte zur Anderen, um immer auf Höhe des Geschehens zu sein. Was ihm, mehr oder minder gut, gelingt. Seine Nerven sind, durch körperliche und geistige Anstrengungen, zum Zerreißen gespannt. Er muss, fast im Minutentakt, schwierige Entscheidungen treffen. Dafür bleibt ihm, oftmals nur, der Bruchteil einer Sekunde. Eine eigentlich unmögliche Aufgabe. Die Halbzeit nähert sich dem Ende. 

In der 44sten Minute läuft Arjen Robben, mit einem Powersprint, auf der rechten Seite, in Richtung Tor. Wie so oft, schlägt er einen Hacken und stürmt in den Strafraum, um mit seinem starken, linken Fuß abzuschließen. In letzter Sekunde wirft sich ihm, ein Dortmunder Verteidiger, in den Weg. Robben fällt theatralisch, im Strafraum zu Boden. Der Schiedsrichter muss jetzt blitzschnell eine Entscheidung treffen. Elfmeter oder nicht. Er konnte es nicht richtig sehen, darum verlässt er sich auf seinen Linienrichter. Der sagt klar: „Elfmeter“. Eine bittere Entscheidung für Dortmund. Denn es gibt, nicht nur, einen Elfmeter. Der Verteidiger Subotic bekommt, wie es das Regelwerk vorsieht, auch noch eine gelbe Karte. Da dieser aber, schon einmal, mit Gelb verwarnt worden war, zieht dies Gelb-Rot nach sich. Ein Platzverweis. Robben nimmt sich den Ball und geht zum Elfmeterpunkt. Dann netzt er ein, Zum 1:0. Das komplette Spiel ist, mit dieser Entscheidung, völlig auf den Kopf gestellt. Die Bayernfans jubeln vor Freuden und liegen sich in den Armen, während die Dortmunder Fans, vor Wut, toben. 

Den Schiedsrichter überkommt ein ungutes Gefühl. War es wirklich die richtige Entscheidung? Oder ist er Arjen Robben, wie schon so viele seiner Kollegen zuvor, auf den Leim gegangen. Schließlich ist er ja, für seine theatralischen Schwalben bekannt. Dafür hätte er dann, ihm eine gelbe Karte geben müssen, was fast genauso fatal gewesen wäre. Dann hätte er ihn mit Gelb-Rot vom Platz stellen müssen. Denn auch er hatte schon eine gelbe Karte. Langsam wird ihm, diese katastrophale Auswirkung, seiner Entscheidung schrecklich bewusst. Dann pfeift der Schiedsrichter zur Halbzeit. Als er vom Platz geht, verschmähen ihn, die Dortmunder Fans, mit wenig schmeichelhaften Beleidigungen. 

Mit einem mulmigen Gefühl, betritt der er die Schiedsrichterkabine, um sich die Szene nochmals genau, auf dem Monitor, anzuschauen. Hoffentlich war die Entscheidung richtig. Er sah schon die Medienberichte vor seinem geistigen Auge. „Schiedsrichter entscheidet auf Elfmeter für Bayern, weil sein Großvater in München lebt und Mitglied beim FC Bayern ist“. Doch hätte er für Dortmund entschieden, so hätte die Schlagzeile gelautet: „Schiedsrichter verhindert Elfmeter, weil sein Onkel, Sponsor bei Borussia Dortmund ist“. Ihm wird bewusst, dass egal wie er entschieden hätte, er immer der Verlierer wäre. Dann sah er die Szene und er sah, dass der Verteidiger den Ball traf und zwar nur den Ball. Der Stürmer segelte, ohne Fremdeinwirkung, über den Verteidiger hinweg, blieb mit  vermeintlich, schmerzverzerrtem Gesicht, liegen und hielt sich den Fuß. Eine glasklare Schwalbe. Verdammt!

Warum nur wollte er unbedingt Schiedsrichter werden. Und warum heißt es eigentlich Schiedsrichter, wo er sich doch mehr wie ein Opfer fühlt. Wäre es nicht vielleicht besser gewesen, das Spiel einfach weiterlaufen zu lassen? Schließlich hatte er, das angebliche Foul, ja gar nicht gesehen. Wäre diese schwächere, menschlichere Entscheidung nicht doch die klügere gewesen? Anstatt die knallharte Elfmeterentscheidung, die das Spiel so eminent beeinflusst hat. Öffnet man durch solche Entscheidungen nicht erst Tür und Tor, für Schwalben und taktische Fouls. Was wäre eigentlich wenn gar kein Schiedsrichter auf dem Platz wäre? Dann wären solche theatralischen Leistungen doch gar nicht mehr nötig, denn sie würden dem Spieler keinen Vorteil mehr bringen. Ein verlockender Gedanke. Doch kann so etwas, beim Fußball, auf so hohem Niveau, überhaupt funktionieren? Schließlich geht es hier um sehr viel Geld und Macht. Jetzt heißt es Zähne zusammenbeißen und wieder rauf auf den Platz. Das Spiel möglichst, ohne weitere Komplikationen, zu Ende zu bringen. Wäre ich jetzt ein Spieler, so könnte ich mich auswechseln lassen, doch als Schiedsrichter gibt es keine solche Option. Da muss ich jetzt durch. 

Die zweite Halbzeit verläuft ohne größere Komplikationen, bis es dann, in der Nachspielzeit,

zu einer weiteren, fatalen Strafraumsituation kommt. Es steht noch immer 1:0 für den FC Bayern. Der Dortmunder Stürmer Ramos wird im Strafraum, von Badstuber, weggegrätscht. Ein klarer Elfmeter, oder vielleicht doch nicht?

Wieder steht der Schiedsrichter im Mittelpunkt. Der Linienrichter sagt diesmal nichts mehr, denn ihm ist seine vorige Fehlentscheidung schmerzlich bewusst. 

Der Schiedsrichter steht jetzt ganz alleine da. 

Ganz auf sich gestellt.

Eine unmenschliche Situation.

Einsam und verloren.

Denn ihm ist klar, dass egal wie seine Entscheidung jetzt lauten wird, der große Verlierer, dieses Spieles, schon frühzeitig feststand.

„Der Schiedsrichter“.

– Ralf Stiller